Texte/Presse

Die Kerpener Künstlerin Lisa Joncker (Lijon)
Kulturpreisträgerin des Erftkreises 1999

Auszug aus dem Manuskript von Dr. Ulrich Bock (Kunsthistoriker) Nov. 2000
Lisa Joncker lebt seit 1978 als freischaffende Künstlerin in Kerpen. Einem breiteren Publikum wurde sie im Erftkreis durch eine Werkschau im Hürther Kreishaus 1990 bekannt. Mit der Ausstellung „Bilder und Objekte“ erhielt sie vierJahre später Gelegenheit, eine umfangreiche Werkübersicht in der Kerpener Jahnhalle der Öffentlichkeit vorzustellen. Vielen Kerpenern ist die Künstlerin zudem durch ihre große Wandinstallation“Villa Kerpinna“ im Foyer des Kerpener Rathauses ein Begriff. Desweiteren besitzt die ‘Gräflich Berghe von Trips‘sche Sportstiftung zu Burg Hemmersbach‘ seit 1998 eine Wandinstallation der Künstlerin, die dem 1961 in Monza verunglückten Rennfahrer gewidmet ist. Auch im Kreishaus Bergheim ist die Künstlerin mit der im Treppenhaus befindlichen Wandinstallation „Texttafeln“ der Öffentlichkeit gegenwärtig.
Die Frage, die sich natürlich zuerst stellt, ist die nach der Besonderheit der Kunst Jonckers, die Aufmerksamkeit und Zuspruch bei vielen Kunstinteressierten und -kennern hervorgerufen hat. Wie läßt sich das Unverwechselbare charakterisieren, das sie von anderen Künstlern abgrenzt, wie ihr ureigener Stil, ihre ureigene Bildsprache definieren? Als erste Annäherung an ihre Kunst bietet sich die auffällige Materialität der Werke und das besondere technische Verfahren, das dahinter steht, an. Schon bei älteren Arbeiten fällt auf, daß sich Lisa Joncker nicht mit Leinwand, Fotopapier und Holz als Bildträgermaterialien für die von ihr bevorzugten Acrylfarben begnügt. Mittels zerknülltem und in seinen Faltungen nachtraglich geformten Seidenpapier, das sie auf den Träger aufleimt, erzeugt sie eine reliefartige Struktur, die als Lineament der Grate und Brüche in einer spannungsvollen Korrespondenz zu den zumeist dunkleren Farbtönen eintritt.
Zur dominanten Technik entwickelte sie aber ein Verfahren, das in der Vermengung von Malfarbe und mehrschichtig aufgetragenem Sand den Charakter des Werkes als Materialbild stärker zum Ausdruck bringen konnte. Diese Mischtechnik ermöglicht ihr, die Plastizität der Bilder in Form aufgerauter, poröser Oberflächen hervorzuheben, die an vom Zahn der Zeit gezeichnete schründige Mauerflächen oder vergleichbare morbid-geheimnisvolle Strukturen erinnern. Zusätzliche Spannungen erzeugt sie mit in diese Reliefstruktur eingefügten Papierfetzen bzw. gerissenen Wellpappefragmenten, sodann auch durch integrierte Fundstücke, sog. ‘objets-trouves‘, z.B. Pappröhrchen von Faxpapierrollen. Indem Joncker diese Teile durch Aus- bzw. Abreißen, d.h. durch methodisch-destruktive Veränderung aus ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung und Gebrauchsfunktion herauslöst und ins Materialbild überträgt, gewinnen sie eine neue Freiheit der Bedeutung im Kontext des Kunstwerkes.
Mit dem Einfügen von dreidimensionalen Gegenständen in die Bildstruktur erweitert Joncker sodann das Montageprinzip der Collage in den Raum: Es entstehen raumplastische Materialbilder für die sich in der Kunstgeschichte seit Anfang der 60er Jahre der Begriff ‘Assemblage‘ eingebürgert hat. – Es läßt sich konstatieren, daß die Künstlerin im Spannungsfeld von Collage, Decollage und Assemblage agiert und diese bedeutsamen Kunsttechniken bzw -gattungen des 20. Jahrhunderts in ihren Arbeiten zu integrieren vermag. Wenden wir uns nun dem Inhaltlichen zu, den Botschaften, die durch das komplexe künstlerisch-technische Verfahren vermittelt werden. Als besonders signifikant erweisen sich hier schon auf den ersten Blick Texturen, die kompositorisch dominant in Erscheinung treten. Die Bandbreite reicht von einzelnen bedeutungsschweren Worten bis hin zu mehrzeiligen Sentenzen, die sogar ganze Reihen von Bildtafeln verbinden können. Ein geringer Teil dieser Texturen sind Zitate, das Gros stammt aus der Feder der Künstlerin selbst. Ihr Inhalt ist zumeist philosophisch-literarischer, die conditio humana betreffender Art.
Mit der Verbindung von Text und Bild vollzieht Lisa Joncker eine Synthese der Medien, wie sie schon die Futuristen Anfang des 20. Jahrhunderts forderten und die Surrealisten mit ihren collagierten Textbildern umsetzten. Im Gegensatz zu ihnen bleibt bei Joncker aber immer die semantische Ebene der Texturen gewahrt. Buchstaben, Silben und Wörter mutieren nicht zum bloß figurativem Gestaltungsmittel, auch wenn ihnen als wesentlicher Bestandteil der Komposition zwangsläufig auch eine bildhafte Qualität zukommt. Bei ihrer Art von Textbildern läßt sich eine größere Nähe zum barocken Emblem konstatieren, das sich aus ‘pictura‘ und scriptura, also einem Bild- und Textbestandteil zusammensetzt, welche in der unabdingbaren Korrespondenz erst die Bildaussage ergeben. Diese in ihrer Materialität und Farbigkeit bewegten Strukturfelder sind alles andere als ein neutraler Fond für die Schrift. Ihre suggestive Wirkung beeinflußt auch die jeweilige Textaussage. Verstärkend wirkt gerade die Vergäng]ichkeit und Alter assoziierenden Sandschichten der Mischtechnik, welche Sentenzen und Maximen als überkommene Urweisheiten erscheinen lassen.
Die magischen Zeichen stehen im Werke Jonckers nun nicht in bloßer Abfolge einer entschlüsselbaren Bilderschrift. Sie korrespondieren mit und werden unterbrochen von weiteren Bildelementen, die die Leinwände der Kerpenerin erobert haben und von ihr mit dem beziehungsreichen Namen ‚Lijoner‘ getauft wurden. Hierbei handelt es sich um sehr agile Strichmännchen, die an Felszeichnungen der Steinzeit erinnern, aber doch eher mit Piktogrammen der lnformationsgesellschaft verwandt sind. Ihr Name ist Programm, er steht für die Künstlerin selbst, die auf dieses Weise- analog zum lyrischen Ich des Dichters – ihre Identität im Werk offenlegt Die Lijoner sind in ständiger Bewegung. Sie erkunden, sie entdecken die Bildwelt ihrer Schöpferin – z.B. entlang sich im Bild windender Linien(pfade) – und erzeugen so eine räumliche Bildsituiation und Dynamik, die mit den statischen Setzungen der Symbole kontrastiert. Mit den Lijonern setzt Lisa Joncker ein sehr bewußtes Zeichen ihrer künstlerischen Subjektivität. Sie weist mit ihnen auf einen ureigenen künstlerisch-geistigen Raum, der in einer individuellen Bildsprache, einer offen-mehrdeutigen lkonographie zum Ausdruck kommt. In der zeitgenössischen Kunst vertritt sie damit eine Richtung, die erstmals 1972 auf der Dokumenta V in Kassel unter dem Begriff der ‘individuellen Mythologie‘ erfaßt wurde. Diese Strömung fand ihre konkreteste Ausprägung mit der Arte Cifra in der zweiten Halfte der 1970er Jahre in Italien, vertreten vor allem von Enzo Cucchi und Sandro Chia Für die Künstler der Arte Cifra ist das Werk eine Chiffre, d h. eine visuelle Sprachform ambivalenter, verschlüsselter Zeichen.
Dies gilt eben auch für einen nicht unbeträchtlichen Teil gerade der jüngeren Arbeiten Lisa Jonckers. Dabei hat sie mit ihren „Chiffren“ eine unverwechselbare eigene Bildwelt geschaffen – für Hans-Jürgen Müller etwa, einem der renommiertesten Galeristen der 60er/70er Jahre, das entscheidende Bewertungskriterium für einen guten Künstler, respektive eine gute Künstlerin.
Dr. Ulrich Bock (Kunsthistoriker)